9. März 2022 / Allgemeines

Interessante Einblicke in das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit am Niederrhein

Kle App NEWS

Wissenschaftliche Tagung in Kalkar beleuchtet wirtschaftliche und soziale Fragestellungen der letzten Jahrhunderte.

Wie wirkt sich ein Starkregenereignis auf die Xantener Umgegend aus? Wer kümmert sich in Kalkar und Wesel um sozial benachteiligte Mitmenschen? Und was weiß man über die Getreidevermarktung niederrheinischer Adeliger? Diese und viele weitere Fragen wurden jüngst bei einer wissenschaftlichen Tagung mit dem Namen „Leben und Überleben am Niederrhein“ im historischen Ratssaal der Stadt Kalkar thematisiert. Dabei ging es jedoch nicht um Probleme und Fragestellungen des 21. Jahrhunderts, sondern um „Leben und Überleben am Niederrhein im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit“. Dies war gleichzeitig der Titel der Veranstaltung, welche von der Universität Mannheim in Kooperation mit der Stadt Kalkar und mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ausgerichtet wurde.

Monika Gussone von der Universität Mannheim stellte als Organisatorin der Tagung zunächst das Gesamtprojekt vor. Das DFG-Projekt „Kleinkredit und Marktteilhabe“ erforscht Klein- und Kleinstkredite in spätmittelalterlichen Gesellschaften anhand von drei Teilprojekten. Dabei wird ein europäischer Vergleich gezogen, indem Fallbeispiele aus Großbritannien, Österreich und Deutschland in Relation zueinander gesetzt werden. Die Kleinkreditbeziehung von mittelstädtischen Bürgern ist dabei der Forschungsgegenstand des Teilprojektes, welches die nordwestdeutschen Mittelstädte Bocholt, Kalkar und Wesel in den Fokus nimmt. Ausgehend von der Fragestellung des Projekts, ob Kleinkredit im Spätmittelalter dauerhafte Marktteilhabe sichern konnte, sollte die Tagung den Blick auf weitere Möglichkeiten lenken, die den ärmeren Leuten am Niederrhein halfen, ihren Lebensunterhalt in der damaligen Zeit zu bestreiten.

Aufgrund der Restriktionen der Corona-Pandemie musste das Symposium in Kalkar ohne Gäste stattfinden. Bürgermeisterin Dr. Britta Schulz war trotzdem erfreut, die Vortragenden und die Mitglieder der Arbeitsgruppe in Kalkar begrüßen zu können, um im kleinen Kreis intensiv über die verschiedenen Aspekte des Themenkomplexes zu debattieren.

Im Eröffnungsvortrag betrachtete Dr. Heike Hawicks (Universität Heidelberg) „Krisen, Katastrophen, Krankheiten und ihren wirtschaftlichen Folgen im 14. Jahrhundert“ anhand von Quellen, insbesondere aus dem Stiftsarchiv Xanten. Einschneidende Ereignisse wie die Magdalenenflut 1342 oder die Pest-Pandemie 1349 konnten dabei auch den großen Katastrophen unserer Zeit gegenübergestellt werden, wie der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal oder der Corona-Pandemie.

Die zweite Sektion thematisierte den weiten Bereich der Sozialfürsorge, die auch im Mittelalter stark ausgeprägt war. So konnte Dr. Martin Roelen (Stadtarchiv Wesel) anhand verschiedener Quellen den Aufbau der öffentlichen und kirchlichen Wohlfahrt im mittelalterlichen Wesel dokumentieren. Monika Gussone (Universität Mannheim) nahm die Finanzierung und Organisation der Armenversorgung im spätmittelalterlichen Kalkar in den Blick. Mit dem großen und kleinen Armenhof, dem Gasthaus direkt hinter dem Rathaus und dem Melatenhaus auf dem Wildenberg gab es in Kalkar gleich vier solcher karitativer Einrichtungen. Betrieben wurden sie u.a. für arme Pilger und Fremde, aber auch für Mitmenschen, die ihr Brot treulich verdient und unter den Geboten Gottes gelebt hätten, aber infolge von Alter, Krankheit oder Schicksalsschlägen nun arm und krank geworden seien, wie es in der Armenordnung aus dem Jahr 1443 zu lesen ist.

Wirtschaftliche Aspekte dominierten den Vortrag von Dr. des. Friederike Scholten-Buschhoff (Marktforschung Kynetec). Sie betrachtete das Spannungsfeld niederrheinischer Gutsbesitzer zwischen Paternalismus und Gewinnmaximierung. Am Beispiel des Getreideverkaufes adeliger Familien, wie der Freiherren von Loë auf Schloss Wissen, konnte sie darstellen, dass das soziale Verhalten des Adels gegenüber dem Gewinnstreben überwog. Dies war insbesondere aufgrund der adligen Verpflichtung, für das Auskommen der Untersassen zu sorgen, der Fall.

Abgerundet wurde die Tagung durch einen Abendvortrag von Prof. Dr. Hiram Kümper (Universität Mannheim), welcher in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Vorträge zu verschiedenen Aspekten der Kalkarer Geschichte gehalten hat. Prof. Kümper gab einen „Einblick in die Ausstandsgesellschaft“, indem er den Kalkarer Sachsenspiegel in Bezug auf die Vorschriften und Regelungen des Schuldrechts untersuchte. Der Vortrag ist nun auch über die YouTube-Seite der Carl-Theodor-Professur der Universität Mannheim abrufbar (siehe Link). Der im Kalkarer Stadtarchiv verwahrte Sachsenspiegel – ein Rechtsbuch aus dem 14. Jahrhundert – wird voraussichtlich noch in diesem Jahr in einer von Prof. Kümper erarbeiteten Edition als Neudruck erscheinen.
Links
Einblicke in die Ausstandsgesellschaft - Abendvortrag von Prof. Dr. Hiram Kümper

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